Das Telefon klingelte, als Elliot Row am Herd stand. Das Omelett brutzelte appetitlich in der Pfanne und erfüllte die Luft mit dem Duft von Knoblauch und Butter. Elliot wischte sich die Hände an einem Handtuch ab und blickte auf die Nummer – unbekannt.
„Hallo?“, sagte er kurz, ohne den Blick von der Schüssel abzuwenden.
„Herr Row, hier ist der Notar Ihrer Familie. Sie müssen morgen früh in mein Büro kommen. Es geht um eine Erbschaft. Dokumente müssen unterschrieben werden.“
Elliot war überrascht – seine Eltern waren gesund und munter. Er stellte keine unnötigen Fragen, nickte nur, als ob der Anrufer es sehen könnte, und legte auf.
Der Morgen war neblig, die Stadt in einen grauen Schleier gehüllt. Auf dem Weg zum Notariat fühlte sich Elliot verwirrt, was bald in Unbehagen umschlug. Der Mann erwartete ihn bereits am Eingang:
„Ich verstehe, das klingt alles unerwartet. Aber wenn es eine Routineangelegenheit wäre, würde ich Sie nicht belästigen.“
Drinnen war es ungewöhnlich still. Wo sonst so viel Leben herrschte, hallte jetzt nur noch das Geräusch von Schritten auf dem Holzboden wider.
„Es geht um Ihren Onkel – Walter Jonas“, sagte der Notar.
„Ich habe keinen Onkel mit diesem Namen“, antwortete Elliot sofort.
„Aber er hat Ihnen trotzdem seinen gesamten Besitz vermacht“, sagte der Mann und legte einen alten Schlüssel, eine vergilbte Karte und einen Zettel mit der Adresse vor sich hin. „Es ist ein Haus am Wasser. Es gehört jetzt Ihnen.“
Das Haus lag mitten im Lake Konoma in Connecticut. Elliot hatte noch nie von einem solchen Ort und einem solchen Onkel gehört. Doch etwas drängte ihn – dieses besondere Gefühl, wenn die Neugier über den Zweifel siegt. Eine Stunde später war er bereits unterwegs.
Der See erwies sich als erstaunlich ruhig. In der Mitte, als würde er aus dem Wasser aufsteigen, stand ein großes, altes Haus. In einem Café versuchte er, einige ältere Männer zu fragen:
„Entschuldigen Sie, wissen Sie, wer früher in dem Haus mitten im See gewohnt hat?“
Einer von ihnen schaute weg.
„Wir reden nicht über dieses Haus. Wir gehen nicht dorthin. Es hätte schon vor vielen Jahren verschwinden sollen.“
Bei einem Bootsverleih namens „Boats at June’s“ musterte ihn eine Frau mit müdem Gesicht eingehend.
„Ich habe das Haus geerbt. Ich brauche ein Boot“, sagte Elliot und übergab ihm den Schlüssel.
„Niemand geht dorthin“, antwortete sie leise. „Dieser Ort weckt in vielen Angst. Auch in mir.“
Aber er gab nicht nach. Schließlich stimmte sie zu:
„Ich nehme dich mit. Aber ich warte nicht. Ich komme morgen wieder.“
Das Haus ragte wie eine vergessene Festung über das Wasser. Die Tür öffnete sich mit einem langen Knarren. Drinnen roch es nach Staub und Frische zugleich. Sonnenlicht fiel durch die Vorhänge; an den Wänden hingen Porträts. Eines davon erregte seine Aufmerksamkeit besonders – ein Mann am Seeufer, hinter ihm dasselbe Haus. Die Bildunterschrift: Walter Jonas, 1964 .
In der Bibliothek stehen Regale voller Bücher mit Randnotizen. Im Arbeitszimmer stehen ein Teleskop und Notizbücher mit Beobachtungsprotokollen, das letzte von vor einem Monat. Im Schlafzimmer stehen Dutzende stehengebliebener Uhren, und auf der Kommode steht ein Medaillon mit einem Babyfoto und der Aufschrift „Row“.
Am Spiegel hing eine Notiz: „Die Zeit bringt das Vergessen ans Licht.“
In einer Kiste auf dem Dachboden fand er in alten Zeitungen einen Zeitungsausschnitt mit der Notiz: „Junge aus Middletown vermisst, lebend gefunden.“ Jahr: 1997. Elliot wurde blass – er war es.
In dieser Nacht konnte er lange nicht schlafen. Sein Kopf war voller Fragen: Wer war Walter Jonas? Warum hatte ihn nie jemand erwähnt? Und welche Rolle spielte er in seinem Leben?
Spät in der Nacht hörte er ein Geräusch. Mit einer Taschenlampe ging er die Treppe hinunter und entdeckte hinter einem Wandteppich eine Metalltür. Sie führte hinunter, unter das Haus, unter das Wasser. Dort befand sich ein langer Flur mit Schubladen, darunter eine mit der Aufschrift „Reihe“. Darin befanden sich Briefe an seinen Vater:
„Ich habe es versucht. Warum schweigst du? Das ist wichtig für ihn. Für Elliot …“
Am Ende des Korridors – eine Tür mit einem Schild: „Nur für Elliot Row.“
Die Tür öffnete sich. Darin fand er Briefe.
„Hallo, Elliot. Wenn du das liest, bin ich schon tot. Mein Name ist Walter Jonas. Ich bin dein leiblicher Vater.“
Er schrieb, er und Elliots Mutter seien Wissenschaftler gewesen. Die Mutter sei bei der Geburt gestorben, und er habe das Kind voller Angst seinem Bruder gegeben, damit er es in Sicherheit aufziehen könne. Doch er habe ihn die ganze Zeit beobachtet – aus der Ferne.
„Du bist zu einem guten, starken Mann herangewachsen. Besser, als ich es mir je hätte vorstellen können. Dieses Haus gehört jetzt dir. Es tut mir leid, dass du so lange geschwiegen und Angst gehabt hast. Ich war immer da, wenn auch unsichtbar.“
Elliot saß lange Zeit schweigend da und ging dann wieder nach oben.
Am nächsten Morgen wartete ein Boot auf ihn. June runzelte die Stirn:
„Ist alles in Ordnung?“
„Jetzt schon. Ich habe viel verstanden.“
Zu Hause unterhielt er sich mit seinen Eltern. Sie hörten schweigend zu. Seine Mutter flüsterte:
„Verzeihen Sie uns. Wir dachten, es wäre das Beste.“
„Danke“, antwortete er. „Ich weiß, es war nicht einfach.“
Ein paar Wochen später kehrte er in das Haus zurück. Nicht, um dort zu wohnen, sondern um ihm neues Leben einzuhauchen. Er eröffnete das Zentrum für Klima- und Geschichtsforschung . Kinder rannten durch die Flure, Nachbarn kamen lächelnd. Das Haus, einst voller Geheimnisse, wurde zu einem Ort des Wissens und der Entdeckungen.